2012/08/13

Entdeckt: Le Corbusier in Berlin

Es ist da. Und es ist groß. Trotzdem kann man es durch die Äste der Bäume zunächst nur erahnen. Ein paar Stufen vom Strassenniveau hinauf, dem Weg durch dichtes Grün folgend und da steht es. Oder sollte ich sagen: sie? Ein wenig wie ein fremdartiges Objekt auf Stelzen präsentiert sie sich mir auf den ersten Blick, die "Wohnmaschine" oder "L'Unité d'habitation, Typ Berlin" wie Charles-Edouard Jeanneret besser bekannt als Le Corbusier seine architektonische Arbeit selber benannt hat. Inmitten einer grünen Oase, nur einen Steinwurf vom Olympiastadion entfernt. Wenn man aus Berlin über die Heerstrasse herausfährt, kommt man gar nicht an ihr vorbei. Auch wenn Sie uns fast scheu von der Straße her nur ihre schmalste Seite entgegenreckt.

Ich merke, dass ich fast nicht 'das Haus' schreiben kann, denn es ist mehr ein Wohnkomplex, eine Anlage, 17 Stockwerke hoch und, wie bereits erwähnt, erstaunlich flach in der Seitenansicht. Es ist nur 23 m tief, 53 m hoch und 141 m lang, das Haus, das uns an vergangene und längst schon wieder neu entdeckte Wohnträume erinnert. Ich bin schon einige Male daran vorbei gefahren und habe mich gefragt, wie es wohl innen aussieht, in dieser Wohnmaschine, die zeitlich nur knappp etwas mehr als 50 Jahre trennen von den gutbürgerlichen Altbauten in Charlottenburg oder Schöneberg. 1957 wurde sie gebaut, im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Interbau 1957.

Man kennt das Hansaviertel im Tiergarten als Bau- und Ausstellungsstätte für die zu dieser Zeit als modern und zukunftsweisend empfundene Art zu Bauen und zu Wohnen. Umstritten waren die Arbeiten der Architekten schon damals. Von den einen geliebt, von den anderen geschmäht. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die Pläne von Le Corbusier waren aufgrund der Größe des geplanten Bauwerks im Hansaviertel nicht zu realisieren, daher suchte und fand man einen Platz in unmittelbarer Nähe zum Berliner Olympiastadion. Das war nur 21 Jahre zuvor von Werner March als Demonstrationsobjekt nationalsozialistischer Architektur für die Olympiade 1936 in nur 2 Jahren errichtet worden.

Im Corbusier-Haus begrüßt im Foyer-Bereich eine kleine Ausstellung den Besucher, nimmt ihn mit in die Bau-Welt von Le Corbusier und in die Wohn-Welt des Hauses an der Flatowallee. Grundrisse und Wohnungsgrößen, Fotos der ersten Einrichtungen. Zeugnisse von Erst-Bewohnern, die gleichermaßen liebevoll und kritisch sind. Die Erinnerungen einer jungen Familie, die mit ihrem ersten Kind hier eine neue Heimat gefunden hatte und mit dem zweiten Kind wieder auszog. Berichte von hornspielenden Studenten und singenden Nachbarinnen. Der Architekt Jürgen Sawade kommt zu Wort, der als Student zunächst für 1 Mark die Stunde Pläne auf der Baustelle geändert hat. Später hat er einige Zeit in dem Haus gewohnt.

Es wird aber auch deutlich, dass nicht alle über Le Corbusier ausgeschüttete Kritik zu dieser Arbeit wirklich auf seine Planung zurückzuführen ist. Denn auch wenn er in manchen Räumen die eigentliche Deckenhöhe am liebsten bei 2,26 m gesehen hätte, seinem selbst entwickelten Proportions-System "Der Modulor" folgend, träumte er nach Zeugnis von Jürgen Sawade von großen Wohnungen mit offenen, lichtdurchfluteten Räumen. Kindergarten, Turnhalle und einen Garten plante er aufs Dach. Die Deckenhöhe wurde dann zum Glück doch auf 2,50 m festgelegt, ich habe jahrelang mit 2,42 m Deckenhöhe gewohnt und ich kann berichten, dass sich das schon ziemlich niedrig anfühlt. Aber die Wohnungen bekamen mehr Wände als erdacht und die Pläne für das Dach wurden aus wirtschaftlichen Gründen leider eingestampft. Le Corbusier hat sich später von seinem Werk aus eben diesen Veränderungsgründen distanziert, aber ungeachtet aller persönlichen Meinungen einiger Berliner zu dieser architektonischen Arbeit gehört es ohne Zweifel zu den Zeugnissen moderner Architektur, die ebenso wie Bauten aus anderen Epochen Stein gewordene Erzähler unserer Kulturgeschichte sind.

Wenn man übrigens in den 10. Stock fährt, die Straßenflucht der Innenstraße entlang geht und durch eines, das Treppenhaus mit Licht versorgenden Bullaugen schaut, bietet sich einem nach Osten und Westen ein großartiger Blick weit über Berlin hinaus. Die Bewohner schwärmen auf den Tafeln im Foyer vom unglaublichen Sonnenuntergang. Ein Besuch lohnt sich und danach kann man sich zu Fuß noch das Olympiastadion anschauen. Es werden sogar vom Förderverein Corbusierhaus Gruppenführungen angeboten. Das würde mich auch mal interessieren. Ich bin doch so neugierig wie andere Menschen wohnen.

Mein Tipp: Erst ins Corbusier-Haus und dann eine Aufzug-Fahrt auf den Glockenturm des Olympiageländes, die einen weiteren, aber windigen Rundum-Panorama-Blick über Berlin möglich macht. Mich bedrückt ein Besuch im Olympiastadion immer, wenn ich daran denke, was es schon alles gesehen hat. Wer in Frankreich ist und Interesse für ähnliche Bauwerke von Le Corbusier hat, kann noch Wohnmaschinen in Marseille, Rezé-les-Nantes, Briey-en-Fôret und Firminy besuchen. Puh, das war viel Information. Aber ich sag ja, in Berlin gibt es soooo viel zu sehen. Ob da ein Wohnleben in Berlin reicht?

Herzliche Grüße sendet euch,
Eure Neu-Berlinerin

PS: Ich lebe übrigens nach 15 Jahren in einem Münchner Nachkriegsbau in Berlin in einem Altbau aus dem Jahr 1911. Und freue mich jeden Tag wie ein Schnitzel über 3,30 m Deckenhöhe. War Le Corbusier eigentlich ein kleiner Mann? Mmmmh, muss ich mal recherchieren. Servus und bis bald.
 
PPS: Die Infos zu Länge, Höhe und Breite stammen von hier. Und für Interessierte, die Adresse des Corbusier-Hauses in Berlin lautet Flatowallee 16, 14055 Berlin. S-und U-Bahn Olympiastadion.



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