2012/08/20

Hirsch gesichtet



Wo schaut er denn hin? Der Hirsch? Witternd hält er seine Nase in den Wind, steht starr und gülden auf seiner fast 10m hohen Säule und scheint in den Morgen zu lauschen. Es ist noch ganz früh. Nur einzelne Hundebesitzer werfen im Park Bällchen für ihre Vierbeiner. Ich muss einfach stehen bleiben. Andächtig den in der Sonne glänzenden Hirschen auf seiner Säule umkreisen. Und ich dachte immer, Hirsche auf Bildern oder Säulen wären eher in süddeutschen Gefilden anzutreffen.

Um diesen Hirsch zu sehen, muss man aber nicht einmal in die Nähe des Weisswurst-Äquators reisen, sondern nur in die U4 einsteigen und an der für mich gefühlt schönsten U-Bahn-Haltestelle "Rathaus Schöneberg" aussteigen. Ich glaube, die einzige Haltestelle, bei der man mitten im Park anhält und durch die Sprossenfenster den Spaziergängern zuwinken kann. Nicht weit vom Schöneberger Rathaus wacht er majestätisch in der Mitte eines Brunnens über den ehemaligen Schöneberger Stadtpark, den Arbeiter zwischen 1908 und 1912 dem moorigen Berliner Untergrund abgerungen haben. Ehemalig, da er eigentlich seit 1963 "Rudolph-Wilde-Park" heißt, was im Volksmund aber irgendwie noch nicht angekommen scheint. Da heißt er, scheint mir, standhaft einfach nur Schöneberger Park.

Das ist er also, der Schöneberger Hirsch. Das Wappentier von Schöneberg. Edel sieht er aus. Vielleicht lauscht er gerade andächtig dem Nachhall des wohl berühmtesten Zitats von John F. Kennedy. Den vier magischen Worten, die dieser 1963 auf dem Platz vor dem Schöneberger Rathaus, nur ein paar Meter vom Hirschen entfernt, an die Berliner gerichtet hat: "Ich bin ein Berliner." Das war nur ein paar Monate vor seinem gewaltsamen Tod. Oder das Tier spitzt die Öhrchen, um den Glockenklang der Friedensglocke zu hören, für die 16 Millionen Amerikaner gespendet haben, damit sie im Oktober 1950 ihren Platz im Glockenturm des Schöneberger Rathauses einnehmen konnte. Blickt er eventuell etwas neidisch auf die Höhe des ihn um Längen überragenden Glockenturms des imposanten Schöneberger Rathauses? Vielleicht läßt er sich auch einfach nur von Norden her die morgenfrische Berliner Luft um die Nase wehen und genießt seine Aussicht über die Stadt. Der Hirsch. Ach ja, der Künstler war August Gaul. Und ich finde das lustig.

Mein Tipp: Früh morgens mit der U4 starten, am Schöneberger Rathaus aussteigen, Haltestelle anschauen, eine kleine Runde durch die Ruheoase Schönebergs drehen, den Hirschen bewundern, das Rathaus mit der Gedenkplakette ansehen (unbedingt reingehen) und dann gemütlich über die Belziger Straße bis zur Akazienstraße schlendern, um dort in einem der zahlreichen netten Cafés zu frühstücken. Wer Lust hat und gut zu Fuß ist, schlendert die Akazienstraße Richtung Grunewaldstraße weiter, bis sie Goltzstraße heißt und vielleicht noch weiter bis zum Winterfeldtplatz. Und richtet eure Augen auf jeden Fall nicht nur auf die Geschäfte, sondern auch nach oben, denn die alten Schöneberger Fassaden haben wirklich gleich mehrere Blicke verdient.

Viel Spaß in Schöneberg wünscht
Eure Neu-Berlinerin

PS.: Für Coffeeholics: Großartigen Kaffee gibts im "Double Eye" auf der Akazienstraße. Ab 9.31 Uhr.

Das ist wirklich eine U-Bahn-Station. U4 Schöneberger Rathaus. So schön. 


 


 

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